Gastkommentar von Norman Wagner, Managing Director MediaCom Beyond Advertising

Ein menschlicher Fragesteller in Raum A sitzt vor Tastatur und Bildschirm. Er tippt Fragen ein, auf die er nach einiger Zeit Antworten aus Raum B erhält – entweder von einem anderen Menschen oder einer Maschine. Wenn die Person in Raum A nicht feststellen kann, ob die Antworten von Mensch oder Computer kommen, hat die Maschine den Turing Test bestanden.

Der Test des britischen Informatikers ist seit über 60 Jahren ein Gradmesser für den Fortschritt in der KI-Forschung. Vor zwei Jahren hat eine russische Software den Test bestanden – und ich bin fest davon überzeugt, dass in naher Zukunft alle neuen Computer den Test mühelos meistern werden. Ich glaube sogar, dass Maschinen bald nicht nur menschliche Logik imitieren und übertreffen können, sondern auch ein weiteres vermeintlich menschliches Alleinstellungsmerkmal: Kreativität. Für digitale Werbung bedeutet diese Entwicklung eine fundamentale Veränderung. Wenn selbstlernende Maschinen Menschen in ihrer Kreativität unterstützen, können wir uns die Zukunft von Programmatic Advertising ausmalen: Über soziodemographische Zielgruppen spricht bald niemand mehr, denn mit kreativen Maschinen schaffen wir Werbung für den einzelnen Konsumenten.

Noch füttert der Mensch die Maschine
Der programmatische Einkauf hat sein Potenzial längst nicht ausgeschöpft. Bisherige Erfolge lassen sich mit denen eines Schachcomputers vergleichen: Damit ein Computer Schach beherrscht, muss der Mensch ihn mit Daten füttern und Algorithmen festlegen – so kann die Maschine in jeder Situation den optimalen Spielzug berechnen und kommt zum Erfolg. Auch Programmatic Software ist auf menschliche Hilfe angewiesen. Noch erklären wir den Maschinen, welche Strategie die richtige ist, welche Daten sie nutzen können und wo Optimierungsmöglichkeiten bestehen. Selbst in der programmatischen Kreation geben wir Befehle wie "nutze die Daten aus dem Online-Konfigurator und baue daraus über 200.000 verschiedene Display-Werbemittel" vor. Der Mensch übernimmt nach wie vor das Denken und Lenken.

KI macht Programmatic zum Anführer der Werbung
Fortschritte in der künstlichen Intelligenz werden die notwendige menschliche Vorleistung auf ein Minimum reduzieren. Alle großen Technologiekonzerne wie IBM, Microsoft und Google arbeiten bereits mit Hochdruck an breit nutzbaren KI-Systemen. Während herkömmliche Computersysteme auf Problemstellungen mit rein mathematischen Lösungsversuchen und schierer Rechenpower reagieren, arbeiten KI-Systeme kreativer. Im Kern des Systems steckt die Fähigkeit, natürliche Sprache besser als je zuvor zu interpretieren und zu bewerten, weshalb zum Beispiel IBMs Watson quasi zu menschlicher Entscheidungsfindung fähig ist. IBM hat jüngst auf der "World of Watson" neue Business KI-Lösungen angekündigt, die Programmatic aus meiner Sicht nochmal einen riesigen Schub geben könnten.

Kognitive Computer basieren auf neuronalen Netzwerken, die dem menschlichen Gehirn nachempfunden sind. Gepaart mit geballter Rechenpower, haben die Maschinen das Potenzial für Kreativität auf Abruf. Für eine selbstständig lernende Programmatic Software hieße das eine Werbemittelvielfalt – etwa im Bereich der Display-Werbung - von maximaler Relevanz. Bereits heute können dynamische Werbemittel auf das zugeschnitten werden, was wir über den jeweiligen User wissen. Der nächste Schritt muss sein, dass die Maschine dies ohne menschliche Vorleistung schafft, also selbst lernt, wie Konsumenten individuell angesprochen werden müssen. Um dorthin zu kommen, braucht sie so viele Daten wie möglich. MediaCom nutzt beispielsweise das Konsumentenpanel LIVE und erhält damit Erkenntnisse über 5,5 Millionen Konsumenten in 30 Märkten. LIVE greift auf die Daten aus 40 Touchpoints zurück und analysiert so die individuelle Mediennutzung der User. Das Tool bedient sich bei unterschiedlichen Panelmodulen, die Einblicke in zukünftige Trends und daraus resultierendes Kaufverhalten liefern. So können immer größer werdende Datenmengen intelligent verarbeitet werden.

Kreative Maschinen als Motor für echtes Programmatic Advertising
Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto größer die Chance, dass intelligente Programme  selbstständig lernen und Nutzer in der Folge bedürfnisgerecht ansprechen – viel individueller, als es vom Menschen produzierbar wäre, da mit einer Kreativität ausgestattet, die menschliche Fähigkeiten in der Skalierbarkeit übersteigt. Diese skalierbare Kreativität könnten Werber auch mit einer Abwandlung des Turing Tests auf die Probe stellen: Ein Marketingchef gibt Konsumentendaten an einen Menschen und eine Maschine weiter. Beide designen daraufhin digitale Werbemittel – wenn das Ergebnis des programmatischen Kreativdirektors mehr Leads generiert als die menschliche Kreation, hat die Maschine den "Picasso-Test" bestanden.