Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) veranstaltete Ende März das Webinar "Digitaler Prolog: Die Zukunft der digitalen Werbung". In zwei Panels diskutierten Branchenexperten über personalisierte Werbung in der Post-Cookie-Ära – eine Runde widmete sich technischen Fragestellungen, die andere nahm die Business-Perspektive ein. Mit dabei waren neben Vertretern von Google auch Alwin Viereck, Head of Programmatic, Ad Technology & Product bei United Internet Media, und Achim Schlosser, Chief Technology Officer der European netID Foundation.

Anlass der Veranstaltung war Googles Ankündigung, ab 2022 keine Third-Party-Cookies mehr im eigenen Chrome-Browser zuzulassen. Stattdessen setzt Google auf sein Privacy Sandbox Project, das Targeting nur noch auf Kohorten-Basis ermöglichen soll. Die Branche beobachtet die Entwicklungen genau, denn sie bestimmen die künftigen Regeln im Walled Garden von Google. Die Marktteilnehmer betrachten den von Google vorangetriebenen Transformationsprozess kritisch. Zugleich bewerten sie Googles Vorstoß als wichtigen Impuls, um sich nach alternativen Lösungen umzusehen – außerhalb der Privacy Sandbox. Vor allem Login-basierte Lösungen, aber auch Pretargeting über die Publisher können künftig an Bedeutung gewinnen.

Im Blog-Flash stellen wir Achim Schlosser Fragen zu den spannenden Diskussionen im Webinar.

Bei der Veranstaltung des BVDW hatten Vertreter von Google die Gelegenheit, das Privacy Sandbox Project vorzustellen. In der Branche gibt es aber noch viele offene Fragen. Ist der Branche klar, was im nächsten Jahr auf sie zukommt?  
Ich denke nicht, dass sie das so recht wissen. Das sieht man auch im Rahmen dieser Veranstaltungen. In den Gesprächen rund um die Privacy Sandbox kommen wir immer recht schnell an den Punkt, an dem bei Google betont wird, man experimentiere noch bzw. es handele sich noch um Prototypen. Das bedeutet aber eben auch, dass sich Inhalte noch wesentlich ändern können und es einfach noch keine fertigen neuen Schnittstellen (APIs) gibt. So ist sehr schwer, passende Produkte zu bauen oder seine Geschäftsstrategie an den Rahmenbedingungen auszurichten.

Natürlich ist es begrüßenswert, möglichst früh und offen über solche doch fundamentalen Änderungen zu sprechen. Problematisch sind dabei mehrere Dinge: Erstens gibt es trotz des aktuellen Experimentierstadiums und der Unklarheiten nun mal ein Enddatum irgendwann im Jahr 2022 – dieses wird aber natürlich von Google selbst festlegt. Zweitens entscheidet schließlich doch der Browser-Anbieter in Eigenregie, ob und wie genau er etwas umsetzt und eben nicht das World Wide Web Consortium W3C. Ganz konkret sieht man das aktuell auch an der Kontroverse rund um die initialen Tests mit den Federated Learning of Cohorts, den sogenannten FloCs, im europäischen Raum oder der Diskussion um neue Mechanismen wie First Party Sets.

Abseits der inhaltlichen Themen haben alle Markteilnehmer ein Problem bzgl. der Timeline - bzw. mit dem Fehlen eines konkreten Termins. Wir sprechen hier von grundlegenden Änderungen. Diese fundamentalen Einschnitte in der Werbepraxis wird man weder als Publisher, Vermarkter noch als Agentur und Werbekunde mal so über die Weihnachtszeit zum 01. Januar 2022 umgesetzt und schon gar nicht gelöst haben.
 
Google verabschiedet sich von der Werbeaussteuerung mittels Third-Party-Cookies. Welche Nachteile birgt das Targeting auf Kohorten-Basis?
 Aus meiner Sicht geht es hier weniger darum, 1:1 Werbung mit Kohorten zu vergleichen. Es stellt sich vielmehr die Frage, wo und wie denn Zielgruppen noch ansprechbar sind in einer skalierbaren Art und Weise. Funktioniert dies nur noch innerhalb der Walled Gardens oder zumindest mit den Plattformen oder auch abseits davon.  
 
In der Diskussion wurde auch deutlich, dass nach dem Ende der Third-Party-Cookies zahlreiche Alternativen wie Login-basierte IDs und Pretargeted Deals zur Verfügung stehen werden. Welche Lösungen haben die besten Chancen?
Die Antwort wird hier weniger sein ENTWEDER/ ODER sondern UND. Wir werden einen Mix von neuen Ansätzen sehen, hoffentlich ist die Privacy Sandbox nur einer davon. Allen gemeinsam ist, dass sie nur funktionieren, wenn Publisher attraktive Angebote für Nutzer schaffen. Die Grenzen zwischen diesen Ansätzen sind auch fließend, wenn man z.B. mit Login-basierten Daten arbeitet, kann man diese sehr wohl auch in Pre-Targeted Deals oder Contextual Ansätzen verwenden, z.B. zur Frequenzkontrolle.

Im BVDW-Webinar wurde netID immer wieder als Lösung für die Post-Third-Party-Cookie-Ära genannt. Welche Rolle wird netID künftig beim Advertising in den Browsern Safari, Firefox und Chrome, aber auch in den mobilen App-Systemen spielen?
netID ist als Marktlösung erdacht und entwickelt worden, um dem digitalen Markt wichtige Grundlagen anzubieten. So können Geschäftsmodelle – ob werbliche oder andere – auch weiterhin übergreifend funktionieren. Der Login-Standard ermöglicht es einerseits den Anbietern von Internet-Angeboten jeder Branche, ihre direkte First-Party Nutzerbeziehungen beizubehalten und sogar auszubauen. Andererseits gibt netID den Nutzern Transparenz, Steuerungsmöglichkeiten und Kontrolle über die Verwendung ihrer Daten.

Wenn es im Markt einen Konsens über die Prioritäten für die Zukunft gibt, dann sind es genau diese Punkte. netID wird an dieser Stelle eine entscheidende Rolle spielen.