Der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) bei der Produktion von Inhalten ist nicht Science Fiction, sondern im digitalen Zeitalter gelebte Redaktionsroutine. Bereits heute schreibt der Kollege KI mit, redigiert, überprüft die Performance von Inhalten, setzt Themen und beeinflusst mit seinen Reportings die Agenda von Medien und Content Marketing. So ist KI auch in den Bereich vorgedrungen, der als das Kompetenzfeld von Journalisten gilt: die Text-Produktion.

Die Agentur Associated Press lässt beispielsweise über die AI-Plattform Wordsmith automatisiert Texte produzieren. Auch US-Medienhäuser wie Forbes, L.A. Times und New York Times erzeugen einen Teil ihrer Inhalte mithilfe von KI-Programmen. Bei diesen Texten handelt es sich zumeist um kurze News aus den Bereichen Sport, Wetter und Finanzen, die schmucklos Zahlen, Daten und Fakten nennen. Diese Form der automatisierten Textproduktion ist den Redaktionen höchst willkommen, da diese sie von lästiger Routinearbeit befreit.

"Nach ersten Testläufen werden auch bei WEB.DE und GMX im Laufe des kommenden Jahres automatisiert erstellte Inhalte zu finden sein. Es wird sich dabei insbesondere um Fußballberichterstattung niedriger Ligen und um Wettervorhersagen handeln", sagt Thomas Rebbe, als Head of Editorial Content verantwortlich für die Redaktion von WEB.DE und GMX.

KI sorgt für Content-Produktion und Distribution
Im redaktionellen Marketing lassen beispielsweise Versandhändler für ihre Online Shops automatisiert Texte herstellen. In Deutschland bieten Unternehmen wie Retresco oder AX Semantics die vollautomatisierte Textproduktion an, etwa bei Produktbeschreibungen. Das Stuttgarter Start-up AX Semantics wirbt auf seiner Homepage, 30 Millionen Texte pro Monat für Kunden wie Otto oder Zalando zu produzieren.

Inzwischen gibt es KI-Programme wie "Spherr" der Agentur Kontrast Communications, das nicht nur die Kreation von Text (und Bild) verspricht, sondern auch die Distribution des Contents sowie die Optimierung der Inhalte auf Grundlage der gemessenen Performance – ein Beispiel für den Selbstlerneffekt, den KI bietet.

Der Einsatz solcher und anderer KI-Systeme über viele Produktionsstufen hinweg bestimmt in unterschiedlicher Ausprägung den Alltag von Online-Redakteuren. Dies hängt mit dem veränderten Berufsbild zusammen: Der Redakteur ist nicht mehr allein Rechercheur und Schreiber, sondern Content Manager, der wie selbstverständlich mit Content-Management-Systemen und Online-Tools umgeht.

Schreiben, messen, anpassen
Konkret: Der Redakteur steuert auch die Distribution des Text-Produkts und überwacht seine Performance. Die Optimierung geht beim Schreiben los: Zunächst muss der Text von der  Headline bis zur Verwendung bestimmter Key-Words SEO-konform gemacht werden. Anschließend kann der Redakteur mit Programmen wie Searchmetrics Content Experience oder Linkbird den Content nach Kriterien wie Lesbarkeit optimieren. Schließlich wird das Textprodukt in Inhalt und Form den Plattformen angepasst: Website, Twitter, Social Media.

Ist ein Text einmal live, geht die Arbeit weiter. Die Performance des Artikels wird im Hintergrund permanent gemessen: Klickzahlen, Verweildauer, Scroll-Verhalten usw. Steigende oder fallende Performance-Werte entscheiden über die Platzierung des Beitrags auf der Website. Zusätzlich zeigen sie, wie der Text auch entsprechend angepasst, umgearbeitet, kurz: optimiert werden könnte. Erzielt ein Text hohe Reichweiten, kann ein zweiter folgen, daraus kann wiederum eine Serie, ein neues redaktionelles Umfeld entstehen – die über KI generierten Daten entscheiden. Jede Redaktion kann diesen Workflow für die eigenen Bedürfnisse, Zielgruppen und Ressourcen anpassen.

"Auch im Newsroom von WEB.DE und GMX werden die Zugriffszahlen kontinuierlich beobachtet und als Unterstützung für redaktionelle Entscheidungen genutzt. Wesentlich dabei ist aber auch, zu verstehen, was einzelne Werte aussagen – und was nicht. Nutzerbefragungen und Leserworkshops haben beispielsweise gezeigt, dass auch Nachrichten, die von den Lesern nicht angeklickt werden, eine Funktion erfüllen – beispielsweise, um einen allgemeinen Nachrichtenüberblick zu bekommen", sagt Thomas Rebbe.

Das Auswerten der im Hintergrund laufenden Datenströme eröffnet den Redaktionen Möglichkeiten, die den Verheißungen von "Big Data" entsprechen. Medien und Unternehmen sollen mithilfe der Daten nicht nur die Interessen und Bedürfnisse der Rezipienten zeitnah analysieren können, sondern für die Zukunft antizipieren. Fachtexte können für Laien verständlich aufbereitet oder zeitgleich in verschiedene Sprachen übersetzt werden, Textbausteine werden automatisiert eingesetzt, Artikel entsprechend einem Wording durchformatiert und und und...

KI erobert Platz in der Redaktionskonferenz
Damit hätte sich der Kollege KI endgültig seinen Platz in der Redaktionskonferenz erobert. Er kann wertvolle Hinweise geben, welche Themen die Zielgruppe künftig bewegen. Werden KI-Systeme mit ihrer automatisierten Content-Erzeugung die tradierte Text-Produktion also überflüssig machen? Experten halten es für möglich, dass KI sich über Syntax und Orthographie hinaus auch den Einsatz von Metaphern und anderer Stilmittel aneignen und somit höhere Formen des Textens, etwa das Storytelling, erlernen kann. Alles nur eine Frage der Daten und der Optimierung?

So einfach ist es nicht. Die über eine Hochleistungs-IT eingesammelten Daten müssen schließlich ausgewertet und in Handeln umgesetzt werden. Das bedeutet Aufwand, kostet Geld, Ressourcen und erfordert gleichzeitig valide und aktuelle Daten sowie auch die Einwilligung der Nutzer. Ohne den Menschen geht es aber noch lange nicht. Als Kontrolleur mit dem gesunden Menschenverstand, als kreativer Geist mit Gespür für Emotionen, Moral und Spaß. Mal ehrlich – wann hat Ihnen der Computer zuletzt einen Algorithmus-basierten Witz erzählt?