Der Digital News Report 2017 des Reuters Instituts hat deutlich gemacht, dass Verbreitung und Konsum von News insbesondere durch das Smartphone vielfältiger werden. Wie verändert dieser Trend den Journalismus? Diese Frage haben wir wieder mehreren Fachredakteuren gestellt.

Dominik Grollmann – ibusiness

Jeder, der frühmorgens mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fährt, weiß wie groß der Einfluss des Smartphones ist: Wo früher die Zeitung dominierte, ist heute das Handy allgegenwärtig. Das ist quantitativ, aber auch qualitativ beeindruckend. Journalismus dient ja immer auch der Unterhaltung und dem Zeitvertreib – und in dieser Disziplin ist das Smartphone ein gewaltiger Konkurrent. Deswegen: Ja, das Smartphone verändert den Journalismus. Die Konsumenten sind flüchtiger und leichter abzulenken. Inhalte müssen kurz, schnell und plakativ wirken. Einerseits.
Andererseits ändern sich die persönlichen Vorlieben der Leser dadurch nicht. Wer sich für Autos interessiert, bleibt diesem Thema auch in der Smartphone-Ära treu. Wirklich gefährlich ist die Entwicklung daher vor allem für Generalisten.
Eine Tageszeitung, die von den Nachrichten bis zum Wetterbericht, vom politischen Kommentar bis zum Autotest, von der Kleinanzeige bis zum Kreuzworträtsel das gesamte redaktionelle Spektrum an Information und Unterhaltung für einen Tag abbilden will, hat es am schwersten. Unzählige Onlineangebote sind in jeder Einzeldisziplin besser.
Eine Zukunft haben dagegen Content-Formate, die Themen besetzen. Spitz und klar abgegrenzt. Der Content selbst verliert dabei keineswegs an Bedeutung, aber – man muss den Tatsachen ins Auge sehen – an Wert. Die Einstiegshürden sind gering, es gibt viel davon. Für Journalisten und Verleger gewinnt daher die Netzwerkfunktionaliät an Bedeutung. Nicht der Content ist wertvoll, sondern die Vernetzung von Interessenten – untereinander und mit Werbetreibenden.

Vera Günther – freie Medienredakteurin, Horizont

Eine Nachricht, bleibt eine Nachricht, bleibt eine Nachricht – sprich, die Plattformen werden sich ändern, das Informationsbedürfnis der Leser aber nicht. Es wird auch in Zukunft die Leserschichten geben, die eine Quick&Dirty-Info brauchen, das Wichtigste kurz und knapp zusammengefasst, und diejenigen, die die epische Breite eines Spiegel-Artikels wollen. Das Schöne dabei: Digital kann alle Bedürfnisse in einem stillen. Den kurzen Teaser für die Eiligen und die Smartphone Scroller, darüber hinaus aber den weiterführenden Link auf das große Ganze. Das wiederum gespickt mit vielen, vielen Hintergrundinformationen, die man sich bei Bedarf über Verlinkungen dazu klickt – oder es eben bleiben lässt. Ja, der Journalismus verändert sich! Aber er wird nicht kürzer und plakativer, er ist möglicherweise sogar besser lesbar als ein seitenlanger Printartikel mit vielen Kästen, Interviews und Querverweisen. Jeder Leser entscheidet, wie viel Text er braucht und an welcher Stelle des Artikels er es braucht. Gute Nachricht für diejenigen, die noch nie ein Buch gelesen haben: Die zunehmende Menge an professionellem Video-Content sorgt dafür, dass Lesemuffel durch eingebettete Bewegtbildinhalte auch informiert bleiben. Großartige Zeiten für Leser! Großartig auch für Journalisten, deren Tätigkeitsfeld sich immens erweitert – allerdings nur, wenn Verleger begreifen, dass digitale Medien, ob mobil oder online, nicht weniger Mühe machen als ein Printmagazin und ihre Redaktionen dementsprechend aufstellen.

Leif Pellikan – W&V

Mobile First ist kein Zukunftsthema. Die mobile Nutzung übersteigt bei vielen Anbietern längst die Abrufe über das stationäre Web. Hierzu genügt ein Blick in die IVW-Zahlen. Die Gründe liegen auf der Hand: Nutzer sind über Smartphones always on, mobil und jede noch so kleine Pause – auch mal zwischen zwei gefüllten Gabeln beim Essen – lässt sich medial nutzen. Dumm nur, die Aufmerksamkeitsspanne geht weiter zurück. Der Abstand zum Goldfisch, der seine Aufmerksamkeit bekanntlich acht Sekunden lang auf eine Sache richten kann und schon heute aufmerksamer ist, als Menschen, wird anwachsen. Um Nutzer mit einer Headline, einem Hinweis oder einem Bild zu fassen zu bekommen, muss also deutlich mehr Aufwand betrieben werden. Was mobil funktioniert, weiß aber niemand genau. Daher gilt es zu testen. Sicher werden wir mehr reißerische Teaser sehen, mehr Übertreibung und schrillere Bilder. Vier, fünf Worte, ein briefmarkengroßes Bild, mehr steht ja nicht zur Verfügung. Deshalb verschwinden auch die Grenzen zwischen redaktionellen Inhalten und Anzeigen, die sich nativ in den Content einnisten. Oft werden die Inhalte hinter den plakativen Teasern jedoch nicht halten, was versprochen wurde. Das sorgt für Frust. Medienmarken sollten sich also zweimal überlegen, wie weit sie bei der wilden Jagd nach Klicks gehen sollen.

Rupert Sommer – freier Medienjournalist, Pressebüro Sommer

Jedes Verbreitungsmedium erfordert die professionelle Geschmeidigkeit des Journalisten, sich an jeweils spezielle Rezeptionsformen anzupassen. Dennoch gibt es übergreifende Stilprinzipien, die sich für jede Textsorte und damit für die rasche U-Bahn-Lektüre auf dem Smartphone ebenso wie für den anspruchsvollen Fachartikel auf dem Schreibtisch oder das opulente Lesestück für das Samstagnachmittagssofa empfehlen: Prägnanz, eine möglichst originelle Leserführung und der eine oder andere wohlplatzierte Überraschungseffekt gehören sicher dazu. Wer sein Publikum mit reißerischen Taschenspielertricks, nicht einhaltbaren Verführungsversprechungen und niveaulosen Klickanreizen unterfordert, wird es auch auf dem Smartphone nicht lange halten können.