Zum Thema Metaversum haben wir den Fachjournalisten folgende Fragen gestellt:

1. Wird der neue kollektive, virtuelle Raum das Online-Marketing nachhaltig prägen?
2. Wenn ja: Wie und ab wann?

Santiago Campillo-Lundbeck, Redakteur bei HORIZONT

1. "Prägen ja, grundsätzlich verändern nein. Denn es ist nicht absehbar, dass die dafür notwendige Hardware bei Virtual-Reality-Lösungen so leicht wird, dass sie auch bei spontanen Nutzungen gut funktioniert. Und bei Augmented-Reality-Lösungen über Brillen bleibt die graphische Qualität zumindest in den nächsten Jahren ein Problem."

2. "Die Bereitschaft und Neugierde auf immersive Live-Inszenierungen ist stark am Wachsen. Und Augmented Reality ermöglicht zusätzliche kreative Möglichkeiten bei Mobile-Web-Lösungen. Das erweitert die gestalterischen Möglichkeiten des Online-Marketings, verändert sie aber nicht grundsätzlich. Non-Fungible Token, kurz NFTs, müssen noch den Beweis antreten, dass sie auch von normalen Konsumenten gerne gesammelt werden, um jenseits vereinzelter Marketingstunts zum echten Instrument des Online-Marketings zu werden."

Caroline Immer, Redakteurin bei OnlineMarketing.de

1. "Die Verknüpfung der nicht-digitalen mit der digitalen Welt, wie sie im Metaverse möglich ist, bietet auch Brands bisher ungeahnte Möglichkeiten. Ein Blick auf die Summen, die große Tech- und Social-Unternehmen wie Meta aktuell in das Metaverse investieren, sowie das Interesse der Menschen an dem virtuellen Raum macht deutlich: Beim Metaverse handelt es sich nicht um einen kurzlebigen Trend, sondern möglicherweise die nächste große Entwicklungsstufe nach dem Switch von Desktop zu Mobile. Eine langfristige Prägung des Online-Marketings und der gesamten Digitalszene ist demnach wahrscheinlich – nicht zuletzt, weil das Metaverse ein Werbeerlebnis möglich macht, dessen immersive Erfahrung kaum zu überbieten ist."

2. "Erste Experimente – insbesondere im HR- und Social-Bereich – lassen sich bereits jetzt beobachten; zum Beispiel in Form von Workrooms oder Meet and Greets. Zum aktuellen Zeitpunkt fehlt jedoch noch die Infrastruktur, um dergleiche Optionen für die breite Masse zu realisieren. Klar ist, dass das Metaverse Marketern enorm viel neues Inventar bietet, darüber hinaus sind verschiedenste Monetarisierungsmöglichkeiten denkbar. Neben traditionellen Werbeanzeigen sind etwa auch Marken-Events im Metaverse deutlich unkomplizierter umsetzbar als in der nicht-digitalen Sphäre. Nicht zu unterschätzen ist darüber hinaus die Bedeutung von User Generated Content im Metaverse als wichtiger Teil von Kampagnen. Ansonsten kommt es nun vor allem auf die Mitbestimmung der einzelnen Akteurinnen und Akteure an. Bis zu einer vollständigen Etablierung könnten jedoch noch ein paar Jahre, vielleicht auch ein, zwei Jahrzehnte, vergehen. Marketer sollten die Entwicklungen jedoch bereits jetzt im Auge behalten und ihre Chance, im Metaverse aktiv zu werden, nutzen – insofern sie sinnvolle Anwendungsfälle für ihr Unternehmen sehen, nicht allein um des Mitmachens willen."

Conrad Breyer, Resssortleiter Agenturen bei W&V

1. "Alles deutet darauf hin, ja. Wenn Sie sich mal die Zahlen anschauen: Das Research- und Beratungsunternehmens Gartner prognostiziert, dass bis 2026 weltweit jede Vierte und jeder Vierte eine Stunde pro Tag im Metaverse verbringt, um sich dort zu bewegen, zu spielen, sich weiterzubilden, aber auch zu arbeiten, und klar: um einzukaufen. Dahinter steckt potenziell ein Milliardenmarkt. Und wenn sich alle ins Metaverse begeben, müssen sich auch Marken entsprechend platzieren.

Noch weiß allerdings niemand, wie das Metaversum irgendwann aussehen wird. Kann es überhaupt je 'fertig' sein? Im Moment existieren nur Vorstufen davon, etwa auf Plattformen wie The Sandbox, Decentraland oder Roblox. Und da experimentieren Marken ja auch bereits, Gucci auf Roblox ('Gucci Garden') etwa. BMW ('Joytopia') und Samsung ('MyHouse') haben eigene virtuelle Welten gebaut, um erste Erfahrungen zu sammeln. Indem alle mitgestalten, entsteht das Metaversum. Das ist das Faszinierende.

Marken kommen also am Metaverse nicht vorbei, gerade, wenn sie absehbar noch junge Zielgruppen erreichen wollen. Inwieweit das allerdings die Gewichte im Online-Marketing verschiebt, lässt sich derzeit noch nicht konkretisieren. Nicht unwahrscheinlich, dass sich in ferner Zukunft Kommunikation vor allem im Metaverse abspielt und sich auch die bekannten Formate 'klassischer' Werbung neu ausformen werden. Stichwort: Interoperabilität zwischen analoger, digitaler und virtueller Welt."

2. "Spätestens seit sich der Facebook-Konzern in Meta umbenannt hat, hat das Thema auch die Breite erreicht. Aber für ein dezentrales, offenes und interoperables Web 3.0 sind bislang noch gar nicht die technischen Möglichkeiten gegeben, denn die so genannte Extended Reality verlangt eine hohe Rechenleistung, die in die Cloud ausgelagert werden muss. Nun sind aber die Distanzen zwischen dem eigenen Endgerät und der Cloud noch viel zu groß, was auf Kosten der Übertragungsgeschwindigkeit geht. Hier brauchen wir erst flächendeckend 5G.

Außerdem ist noch nicht absehbar, wer unter den potenziellen Playern, die derzeit am Metaversum mitbasteln, am Ende das Rennen macht. Die GAFAs oder Unternehmen wie Epic Games, Roblox,  Nvidia, Qualcomm etc.? All das wird darüber entscheiden, wo und wie sich Marken im Metaversum bewegen.

Meine Prognose: Starke Marken wie Nike oder BMW werden mit ihren eigenen Metaversen durchaus punkten können, weil die Leute freiwillig hingehen. Alle anderen werden sich wohl in den be- und neu entstehenden Plattformen platzieren, vor allem mit interaktiven Events, Showrooms, Work Spaces.

Klassische Werbung dürfte im Metaversum allerdings kaum mehr eine Rolle spielen. Schon jetzt zeichnet sich ab: Im virtuellen Raum müssen sich Marken über Themen positionieren, sie unterhaltsam aufbereiten und Botschaften spielerisch transportieren. Die Metaversum-Welt ist eine Gamer-Welt. Und dass jüngere Verbraucherinnen und Verbraucher nicht auf Werbung stehen, weil sie sie als störend empfinden, ist ohnehin bekannt.

Falsch wäre es jetzt nur, abzuwarten, wie sich die Lage entwickelt. Im Moment ist Experimentieren gefragt und lernen, lernen, lernen."

Fabian Peters, Chefredakteur bei BASIC thinking

1. "Der Begriff Metaverse ist für viele vermutlich noch gar nicht richtig greifbar. Grundsätzlich können sich in Sachen Marketing, Kommunikation und Konsum zwar spannende Möglichkeiten entwickeln, aber die von Mark Zuckerberg angekündigte 'next generation of the Internet' scheint noch in weiter Ferne."

2. "Viele können sich auch noch nicht vorstellen, wie das alles technisch funktionieren soll und wie realistisch so eine digitale Parallelwelt dann ist. Vor allem birgt die letztlich aber auch Gefahren. Das sehen wir bereits heutzutage an den ersten Fällen sexuellen Missbrauchs. Aber auch in Sachen Datenschutz herrschen viele Unklarheiten. Bis das Thema Metaverse wirklich spannend, interessant und ausgereift genug ist, werden aber wohl noch einige Jahre vergehen."
 
Bert Rösch, Redakteur bei TextilWirtschaft

1. "Das Metaverse schafft mit Sicherheit neue Möglichkeiten des Online-Marketings. Dazu gehören vor allem Werbeflächen auf den virtuellen Plattformen, die dort beispielweise in Form von großflächigen Plakaten oder Fahnen zu sehen sind. Weitere Werbemöglichkeiten sind virtuelle Showrooms und Ladengeschäfte und die Teilnahme an digitalen Events wie der Metaverse Fashion Week.

Die Frage ist nur: Lohnen sich diese Investitionen jetzt schon? Wie viel Zukunft ist bei dem Thema eingepreist? Schließlich lässt sich etwa der Branding-Effekt derzeit so gut wie gar nicht messen. Der Anteil der In-Metaverse-Werbung dürfte noch im Promillebereich liegen. Somit ist die Auswirkung auf den Umsatz so gering, dass sie kaum zu erheben ist. Die Chance, auf den Plattformen Werbekontakte zu generieren, sehe ich noch nicht. Das würde die User zu stark aus ihrem immersiven Erlebnis herausreißen. Weder die Nutzer noch die Plattform-Betreiber dürfte das begeistern."

2. "Überhaupt ist es noch fraglich, ob sich diese virtuellen Plattformen durchsetzen werden oder nur eine Randerscheinung bleiben. Die etwas Älteren unter uns erinnern sich noch an den Vorläufer Second Life. Auf der Plattform haben sich nach kurzer Zeit nur Journalisten und Marketingleute getroffen. Und beide haben sich dort hauptsächlich aufgehalten, weil sie Angst hatten, einen Zukunftstrend zu verschlafen. Bei den Journalisten darf noch die berufliche Neugierde hinzugekommen sein. Das war es aber auch schon.  

Wenn das Metaverse ein ähnliches Schicksal erleidet, haben die Unternehmen möglicherweise Millionen Euro in den Sand gesetzt. Hinzu kommt, dass die Rahmenbedingungen derzeit nicht optimal sind: Nach zwei Jahren Pandemie dürsten auch die hartgesottensten Nerds und Stubenhocker nach realen Erlebnissen. Und damit die Plattformen wirklich massenhaft genutzt werden, müssen noch einige Voraussetzungen erfüllt werden: Bislang brauchen Sandbox, Robolox und Co beim Laden häufig noch Ewigkeiten, auch bei fetten DSL-Leitungen. Mobile Erlebnisse sind somit arg begrenzt. Die VR-Brillen sind derzeit viel zu teuer. Und die Plattformen haben bislang wenig Spannendes zu bieten. Sie unterschieden sich nur wenig von klassischen Video-Spielen. Das könnte für viele Unternehmen, die traditionell Investitionen in ungewisse Techniken meiden, heißen: Es gibt viel zu tun, fangt schon mal an!"

Tobias Gillen Geschäftsführer von BASIC thinking und Finanzentdecker.de

1. "Bis jetzt ist der Begriff 'Metaversum' nur ein Buzzword ohne viel Substanz. Man kann sich zwar als Early Adopter sicher einen Namen machen, die richtigen Anwendungszwecke erleben wir heute aber noch nicht. Dementsprechend klein sind die Nutzerzahlen und dadurch auch der Nutzen für das Online-Marketing. Sobald Metaverse-Anwendungen aber von einer breiten Masse angenommen werden, können sich auch für das Online-Marketing spannende Möglichkeiten ergeben."

2. "Die Möglichkeiten für Marken zum Product-Placement sind nahezu unbegrenzt im Metaverse – und personalisiert aussteuerbar für die passenden Nutzer. Automarken, Konsumgüterkonzerne und Techkonzerne werden sich über diese Möglichkeiten freuen. Bis es so weit ist, dürfte es aber mindestens noch ein paar Jahre dauern."